
Beitrag von Valentin Heisters in
»R_Vision – The interdisciplinary magazine«
ISSN 1863-2726/ No. 09.02 / Wiesbaden, April 2009
Wir beraten unsere Kunden und finden gemeinsam mit ihnen Lösungen für die Kommunikationsaufgaben, die sich stellen. In unserer Kundenpräsentation gibt es ein wichtiges Chart. Dieses Chart zeigt, wie die Zusammenarbeit von uns Gestaltern und den Auftraggebern erklärt werden kann. Dort sieht man, dass jeder Kompetenzfelder besetzt: Die Designer, also in diesem Fall wir, haben sich auf die Visualisierung der Kommunikation spezialisiert. Unsere Auftraggeber haben sich mit ihrem Geschäft und ihren Leistungen einen Markt geschaffen.
Unsere Präsentation erklärt am Anfang des Prozesses, dass jede Seite – Kunde und Designer – einen Kompetenzschwerpunkt mit in die Beziehung bringt. Das Chart zeigt, dass sich die beiden Felder überschneiden. Wenn der Kunde sich auf den Designer einlässt und der Designer sich auf den Kunden einlässt, dann entsteht der Bereich, die Schnittfläche, aus der heraus eine stimmige Gestaltung entsteht. Wir wissen in unseren Teams, dass zu einem guten Design ein guter Kunde gehört. Denn Gestalt gebend ist nie der von außen Kommende, Gestalt gebend ist immer das Innere, der zugrunde liegende Plan. Erst wenn der Gestalter zum Produzenten und der Produzent zum Gestalter wird, entsteht relevantes Design. Und wir wissen, dass dieses Verhältnis und Verhalten Teil unserer Wertschöpfung ist. Wir wissen, dass wir durch die Verbindung und Einswerdung von Inhalt und Form Werte schaffen.
Sprechen wir nicht davon, dass es Unternehmen und Erscheinungsbilder gibt, die ohne tiefgreifendes „Aufeinandereinlassen“ entstehen und die trotzdem bekannt werden und ihren Zweck zu erfüllen scheinen. Man könnte sicher eine ganze Reihe von Designs benennen, die durchaus für große und funktionierende Unternehmen stehen, bei denen aber die Logik des Erscheinungsbildes wenig mit der inneren Logik des Unternehmens, seiner Strategie, zu tun hat. Sprechen wir also nicht von Gestaltungen, die von außen aufgeklebt werden und genauso schnell wieder abgezogen werden.
Die Frage, die uns umtreibt, ist: Wann ist Gestaltung gesellschaftlich und wirtschaftlich relevant? Betrachte ich die Feuilletons der letzten Jahre, sehe ich das Thema Architektur immer wieder als Gegenstand einer breiten Diskussion. Das Thema Design kommt in FAZ, Süddeutsche, Zeit und Spiegel überhaupt nicht oder in Randnotizen vor. Die Antwort auf die Frage, warum dies so ist, ist einfach: Design ist in Deutschland kulturell kaum relevant, weil es meist nicht mehr möchte als in seinem Kontext eine Lösung darzustellen, gesamtgesellschaftlich allerdings sehr niedrige Ansprüche hat.
Nun könnte man meinen, dies läge unter Umständen daran, dass die berufsständischen Vertretungen im Bereich Design einfach nicht gut genug organisiert seien. Dass man da halt immer schon gepennt habe, dass man Design in Deutschland »lobbymäßig« einfach nicht richtig positioniert hätte. Ich glaube, es liegt an etwas anderem.
Die große Mehrheit der Designer in diesem Land möchte in erster Linie wirtschaftlich erfolgreich sein. Das Page Kreativranking ist das wirksamste Aphrodisiakum und das höchste Ziel einer sich selbst vergoldenden Klasse, die aus den Augen verliert, dass ihr die Designpersönlichkeiten und der Wille, auch gesellschaftlich Gestalt zu geben, ausgehen. Das Ranking ist der scheinbare Maßstab des Erfolges und der Wirksamkeit von Design geworden – ein Ranking, das gesamtgesellschaftlich keine Beachtung findet. Design in diesem Land scheint oft nichts zu wollen außer seinem eigenen Erfolg und dem wie auch immer gemessenen Erfolg des Auftraggebers. Es ist oft genauso kurzfristig angelegt wie der Quartalsbericht einer Shareholder-Value-verliebten Bank, die ihren Rappaport missverstanden hat. Die Haltung, die Ernsthaftigkeit und der Wille, Dinge langfristig gesellschaftlich zu verändern, fehlen so sehr, dass es wenig Mut gibt, zusammen mit Unternehmen gradlinige, authentische und gesellschaftlich relevante Designphilosopien, die über den Tag hinausgehen, zu entwickeln und umzusetzen. Unternehmen brauchen sowohl in ihrem Inneren als auch in ihrem Äußeren wirksame Gestaltstrategien, um bestehen zu können. Wertschöpfung entsteht nur dort, wo Werte angestrebt werden, die gesamtgesellschaftlich wirksam werden möchten.
Das Zusammengehen von Gestaltung, die verändern will, und wirtschaftlich agierenden Unternehmen liegt sehr nahe und schließt sich nicht aus – im Gegenteil. Sowohl das Bauhaus als auch die HFG Ulm gingen direkt auf die Industrie zu und agierten nachhaltig wertschöpfend: Die Formgebung wirtschaftlicher Prozesse macht den Kern gesellschaftlich relevanter Gestaltung aus.
Das Problem des Designers von heute ist auch, dass er alleine, für sich genommen, ohne eine Aufgabe, ein Hüllenverwalter ist. Der Designer wird erst zum Designer, wenn er gestaltet. Erst in der individuellen Anwendung und Teilwerdung einer Unternehmung entsteht etwas Interessantes. Daher erscheinen gestalterische Veranstaltungen und Symposien, die sich in erster Linie um das Design von Design drehen, oft unerträglich selbstbespiegelnd. Manche Designkollegen sehen den Grund für die »Bedeutungskrise« im Verhältnis zwischen Industrie, Design und Gesellschaft in erster Linie in den brutalen Kräften der freien Marktwirtschaft, die sich gratis pitchende Gestalter heranzüchtet und gegeneinander ausspielt.
Da wird der Ruf nach Regulierung und standesgemäßen Kammern und Zünften laut, die die Spielregeln festlegen sollen. Das Problem ist aber nicht, dass man eine berufsständische Vereinigung braucht. Apotheker haben oder hatten das, und es hat ihre gesellschaftliche Relevanz auch nicht sonderlich nach vorne gebracht. Das Problem ist, dass man in eine angepasste Haltungs- und Bedeutungslosigkeit taumelt, die in erster Linie damit zu tun hat, dass die Visionen und der gestalterische Wille, tatsächlich zu gestalten, bei Vielen abhanden gekommen sind und man sich auf ein kunsthandwerkliches Gebrauchsgrafikertum zubewegt, immer bemüht, eine Gold-Award-Idee zu produzieren, die das Zeug hat, eine Jury zu beeindrucken.
Also keine Regulierung, nicht mehr Lobbyarbeit für die Tausenden von Creative Directors, die deutsche Gestaltungsschulen jedes Jahr auf den Markt entlassen? Ich denke die Antwort ist einfacher als es scheint: Keinem Designer muss etwas geschenkt werden, und kein Designer hat einen Anspruch darauf, dass sich Unternehmen, Institutionen oder Produkte melden, die von einem Designer geformt und gestaltet werden wollen oder müssen. Niemand hat den Beatles auf dem Liverpooler Arbeitsamt nach einer ausgiebigen Befragung die Berufsbezeichnung »Beatle« auf den Zettel geschrieben, und hätte man es getan, wäre wahrscheinlich nicht das passiert, was passiert ist.
Wettbewerb ist gut, und letztlich muss der Gestalter so sehr von seinem klaren Gedanken und seinem Wertschöpfungsbeitrag getragen werden, dass sich Designer und Produkt treffen, zueinander finden. Der Gestalter wird gestalten, wenn er Gestalter ist. Das muss nicht jeder sein und ist auch weniger eine Mode als eine Berufung. Insofern halte ich wenig von vorgegebenen Tarifverträgen und fixen Regelungen. Der Designer ist in meinen Augen auch kein Arbeiter, sondern ein Unternehmer, ein Artist, ein Visionär, eine Persönlichkeit, ein Kommunikator, ein Stratege, ein Denker und ein Diener.
Der Gestalter erschafft zusammen mit seinem Auftraggeber Produkte und wird Teil der Aufgabe, so wie der Auftraggeber Teil der Aufgabe ist. Wem das unter Umständen abgehoben erscheint, der teilt vielleicht eine andere Vision und Auffassung von Design und Gestaltung. Design ist Teil eines Produktes, das dann Qualität zeigt, wenn »das Design« nicht mehr auszumachen ist, wenn es nicht mehr scheint, sondern wenn es ist.
Design bedeutet Fleiß, Handwerk, Prozesswissen, Anpassungsfähigkeit, Lösungsorientierung, richtiges Denken, interdisziplinärer Austausch, Einsatz und Dienstleistung. Design bedeutet möglich machen und Antworten finden. Design bedeutet: Den Beweis antreten. Design bedeutet Einschränkungen durch Leistungen zu überwinden. Je höher die Einschränkung, desto höher die erforderliche Leistung. Design bedeutet Hindernisse nicht um jeden Preis zu überwinden, denn der Kopf ist rund, damit unsere Gedanken, bekanntermaßen, die Richtung ändern können. Und: Design bedeutet kein Design.
Verstehen, reflektieren, produzieren, ausprobieren, herleiten, trainieren und reagieren, mit fremden Köpfen denken wie mit dem eigenen, strategisch arbeiten, klug nach vorne gehen und gemeinsam zur Form finden. Und wozu das? Der Humanität wegen, der Schöpfung und unserer Möglichkeiten wegen, der Gaben und mitgegebenen Talente eingedenk. Um eine Vision der Menschlichkeit Realität werden zu lassen. Letztlich eine ideologische Aufgabe, die sich an unseren Werten misst. Wollen wir beeindrucken, wollen wir gerecht werden? Wollen wir separieren? Wollen wir verbinden? Oder wollen wir in erster Linie verkaufen und verdienen?
Wir wollen Gestalt geben und durch Gestalt agieren.